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  • AutorenbildAlex Milz

66° Grad NORD - Quer durch Islands Norden

Aktualisiert: 2. Feb. 2023

Vorbei an mächtigen Wasserfällen, heißen Quellen und mystischen Fjorden verläuft der 66. Breitengrad quer durch Islands Norden. Wir sind ihm gefolgt und haben auf Pisten jeglicher Güte ein Motorradreise der Extraklasse erlebt.



Islands Natur hat unendlich breite Pforten.

Direkt hinter dem Fährhafen in Seydisfjödur öffnen sie sich sperrangelweit. Tiefgrün verwitterte Steilhänge links und rechts, schneebedeckte Bergspitzen, guter Asphalt und bestes Wetter – so beginnt es hier direkt.





Dann eine karge Hochebene. Hier oben ist alles noch winterlich weiß. Die Sonne spiegelt sich in den blauen Schmelzwasserseen, die bis an die Fahrbahn heranreichen. Dann ersetzt Edelschotter den Asphalt. Lindwurmartig schraubt sich die Piste durch 15 Kehren nach oben. Es ist der Bergpass Hellisheiði, mit 15% Steigung die steilste Piste Islands. Bei 655m erreichen wir den Bergkamm. Unter uns die schwarzen Strände von Heradssanður, die wie ein Aquarell mit den schneebedeckten Bergen des Dyrfjöll ineinanderfließen. Diese Fernsicht lässt alles vergessen, selbst den Hunger.


Die ersten 100 km sind bereits so einzigartig, dass wir uns ernsthaft fragen, was da noch alles kommen mag.




In Vopnafjödur zeigt Helga erneut ihr Talent beim Aufspüren gemütlicher Cafés. Intuitiv zeigt sie nach rechts und 100m später finden wir das, wonach wir suchen, Sonnenterasse inklusive. Bei einer Portion isländischer Waffeln mit Sahne versöhnen wir unsere Mägen und suchen nach einem Zeltplatz. Im Sommer können Unterkünfte hier schnell knapp werden. Zelten ist eine preiswerte und unabhängige Alternative. Für diese Option haben wir diesmal sogar das Zuladegewicht der Africa Twin ausgereizt.


Außer einer großen Campingwiese und einem Tankautomat gibt es in Bakkafjödur nichts. Selbst der Asphalt hört hier einfach auf. Dafür sind die Wiesen ringsherum mit tiefvioletten Lupinen übersät.





Ein farbenfroher Außenposten der Zivilisation. Es ist der Startpunkt des Arctic Coast Ways. Eine 900km lange Nordroute, die dem 66° Breitengrad folgt. Genau hier trifft er das erste Mal auf isländisches Festland. Thor der Platzwart kassiert bei uns € 15 für eine Nacht. Eine günstige Premiere für unsere erste gemeinsame Zeltnacht seit 20 Jahren. „Geduscht wird in der Turnhalle“, fügt er noch hinzu und zeigt auf einen Flachbau am Rande der Wiese. Spät ist es. Mit Funktionsshirts und dicken Socken bestückt kriechen wir in die Schlafsäcke. Frisch soll es diese Nacht werden, so an die 12 Grad.



Da wir den Abzweig über die unaussprechliche Hochebene Öxarfjarðarheiði verpassen, biegen wir auf die 874 ein. Eine Schotterpiste führt auf die Halbinsel Melrakkaslétta, geradewegs in die Einsamkeit. Außer Polarfüchse, Vögeln und einem arktischen Steinkreis gibt es hier nichts.



Die wenigen Weiler, die wir passieren wirken verlassen. Gut, dass wir heute morgen noch randvoll getankt haben. Im weiteren Verlauf wird die Schotterstrecke zu einer üblen Waschbrettpiste. Ab jetzt werden wir so richtig durchgerüttelt.



Mehrfach passieren wir Laster, die frischen Schotter auf die Fahrbahn kippen. Dahinter Schaufelradbagger, die alles notdürftig verteilen. Ein Schlingerkurs durch diese weichen Schotterbetten beginnt.




Jetzt heißt es locker bleiben. Ich drehe beherzt am Gas. Mein Blick scannt ständig die Piste nach festen Fahrrinnen ab. Das wir an der nördlichsten Spitze dieser Halbinsel fast den Polarkreis berühren wird dabei zur Nebensache. Doch wir halten Kurs und die schwere Fuhre pflügt sich tapfer ihren Weg durch die Steine. Im kleinen Fischerort Kòpasker kommen die Räder wieder auf Teer. Wir atmen auf. Die erste Schotterprobe mit unserem Dickschiff haben wir gut überstanden.





Etwas abgekämpft erreichen wir die Schlucht von Asbygri. Ein isländischer Garten Eden am Rande des größten Wüstengebiets in Europa. Überall wachsen Birkenhaine mit silbrig grauer Rinde und der Waldboden ist mit Storchenschnabel und Butterblumen übersät. Der Sage nach hat das arktische Riesenpferd vom Götterboss Odin bei einem Himmelritt gestrauchelt, hier ausgetreten und klatsch, die Schlucht war geformt. Beflügelt von der ursprünglichen Natur landen diese Geschichten nicht einfach in Märchenbüchern, sondern auf den Informationstafeln am Wegesrand. In diesen bizarren Steinformationen verbirgt sich auch noch ein Elfenpalast, so die Tafel weiter. Eine nette Touristenattraktion? Nein, das wäre zu einfach. Es kommt sogar vor, dass ganze Straßenzüge verlegt werden, um ja keine Elfenpaläste oder Trollbehausungen zu zerstören. „Island ist ein einziges Naturreservat“, erklärt uns der Ranger am Rande der Schlucht, „und beim Naturschutz lassen wir uns gerne vom unsichtbaren Volk helfen“.


Immerhin glaubt die Hälfte der isländischen Bevölkerung an übernatürliche Wesen. Als wir dann am Rande der Schlucht ein Felsformation sehen, die an versteinerte Trolle erinnern, können wir uns diesem Glauben auch nicht mehr entziehen.


Nur einen Kilometer hinter dieser üppigen Vegetationsoase beginnt eine schwarzbraune Lavasteppe. Bis zum Horizont nur staubtrockene Steinwüste.




Einzige Abwechslung auf der staubigen Piste sind rötlich schimmernde Eisenerzhügel. Dann tauchen wie aus dem Nichts die drei mächtigsten Wasserfälle Europas auf. Der Fluss Jökulsà stürzt hier brüllend über den Dettifoss und seinen kleineren Geschwister Selfoss und Hafragilsfoss in die 100m tiefe Schlucht des Jökulsàrgljúfur, dem Grand Canyon von Island.





Die Natur wechselt hier so rasch ihr Gesicht wie die Wege ihren Belag.

Nur eine kurze Wanderung und wir stehen am Ostufer in unmittelbarer Nähe zu diesen Naturgewalten. Hier braucht es Wachsamkeit. Das Ufer ist nicht gesichert und wir haben keine Lust das gleiche Schicksal wie Prometheus zu erleiden, den der Regisseur Ridley Scott im gleichnamigen Film an diesem Ufer in die Tiefe hat stürzen lassen. Hier in Island stehen kaum Warnschilder oder Absperrungen, selbst an gefährlichen Orten wie diesem. Die Isländer sind sich den Gefahren von klein auf bewusst und setzen vielmehr auf den gesunden Menschenverstand. Die Natur lässt sich hier eben nicht umzäunen, man kann nur mit ihr leben.





Für eine kurze Etappe nutzen wir die Ringstraße, der asphaltierte Zivilisationsanker Islands, der wie ein Rettungsring die ganze Insel umspannt. Ab hier geht es in Richtung Myvatn, der grünen Seenplatte Islands. Auf uns wartet eine kleine Cessna am Flugplatz in Reykjahild für einen Rundflug im Vatnajökull Nationalpark. Wir sind spät dran und geben etwas Gas. Töricht, wie sich rausstellt. Ein weißer Volvo kommt uns entgegen. Lögrelu steht in großen Lettern auf dem Fahrzeug. Was für Fremde eher nach einer landestypischen Speise klingt heißt auf isländisch Polizei. Das Fahrzeug wendet schwungvoll, schaltet das Blaulicht ein und blinkt uns an. Kein Zweifel, die meinen tatsächlich uns. Radar von vorne? Wir stoppen am Rand und ein rothaariger Hüne kommt mit lässigem Schritt auf uns zu. Statt den erlaubten 90 km/h waren wir mit 115 km/h unterwegs. Wenn ich direkt zahle, erklärt er mir, bekommen wir 25% Nachlass. Kartenzahlung ist möglich, schiebt er nach. Zerknirscht stecke ich die Kreditkarte in das Gerät und halte wenig später eine Quittung über 37.500.— isländische Kronen in der Hand.

Das sind sage und schreibe 250 Euro! „Lassen Sie sich ruhig Zeit“, sagt der Hüne „denn davon haben wir hier genug“.

Wenig später kreisen wir in einer kleinen Cessna bei wolkenlosem Himmel über das abgelegene Hochland rund um die Askja, einem der größten Vulkan Systeme der Insel. Immer wieder ragen Muffin ähnliche Berge mit einem schneeweißen Zuckerguss aus der mondähnlichen Landschaft auf. Soweit das Auge reicht Vulkane, dazwischen Gletscherzungen, dann wieder Lavawüsten und erneut Muffinberge.










Bevor die Apollo Crew ihren ersten Flug zum Mond antrat, trainierten sie genau hier in dieser Lavasteppe. Askja hat eine bewegte Geschichte von gewaltigen Eruptionen hinter sich. Der letzte Ausbruch fand 1961 statt. „An der Askja hat sich das Land in den letzten Jahren um einige Zentimeter angehoben“ erklärt uns Einar, unser Pilot. Nun wird es stetig überwacht. Gut möglich, dass sich die Magmakammern in den Vulkanwurzeln langsam wieder füllen. Sind das Vorboten einer Eruption? Man weiß es nicht sagt er in isländischem Gleichmut, „wir werden sehen“.


Als wir den Küstenort Husavik erreichen, spiegelt sich bereits die Abendsonne in den braunen Holzplanken der Fischtrawler.




Bei angenehmen 20 Grad sitzen wir am Hafen und blicken auf die schneebedeckten Berge des Viknafjöll. Das ist südländisches Flair vor arktischer Kulisse. Dank des Golfstroms hat Island sehr milde Sommer. „Aber es ist viel zu trocken für diese Jahreszeit“; erklärt uns der Kellner und kopfschüttelnd sagt er, „wir müssen dieses Jahr sogar unsere Gärten wässern“.





Heute ist der Himmel eine einzige dicke Wolke. Auf dem Weg ins Hochland streifen wir kurz Akureyri, die Hauptstadt es Nordens. Dann schlängelt sich die 821 zunächst als Feldweg durch das saftig grüne Eyjafjarðará-Tal. Nach zwei Minifurten wird die 821 zu einer F-Piste. Ab hier sind nur noch 4x4 Geländewagen erlaubt. Je weiter wir jetzt fahren, umso matschiger wird der Weg. Dann versperrt eine große Eisenkette mit Schild den Weg: „Gesperrt wegen Tauwetter“. Das Schmelzwasser hat das gesamte Tal geflutet. Auch wenn es von hier passierbar ausschaut, die isländischen Behörden hängen nur dann Warnschilder auf, wenn es akute Gefahren gibt.








Wir kehren um und versuchen unser Glück weiter im Osten. Vorbei an kleinen Höfen und Siedlungen gleiten wir durch das Bárðardalur Tal. Nach einem Viehgitter wird die Strecke steiniger und hebt sich nur durch ein helles Braun von der Steinwüste ringsum ab. Dann ein Holzschild. Aldeyjarfoss steht mit Pinselfarbe drauf. Umrahmt von ockerfarbenen Basaltsäulen rauscht inmitten dieser schwarzbrauen Felsenwüste der schlammige Skjálfandafljót hier in die Tiefe. Dann stehen wir an der Abbruchkante wie Abenteurer am Rande der Welt.




Wie lange sind wir schon unterwegs? Irgendwas mit einer 1 davor, meint Helga. Die Zeit wird unwichtig. Ein Indiz dafür, dass wir jetzt richtig auf Reisen sind. Vorbei an der alten Wikingerstadt Dalvik und Olafsfjödur gleiten wir auf der gut ausgebauten Route 76 an der rauen Küste der Halbinsel Tröllaskagi entlang. Diese Küste hier ist die heutige Attraktion. Nur selten unterbricht ein Fischerdorf diese einsame Küstenstraße. Zum ersten Mal setzt Regen auf dieser Reise ein. Der Südwestwind trifft uns kräftig auf der Seite und wir müssen mit der Twin gut dagegenhalten. Durchgefroren erreichen wir das gebuchte Gästehaus in Blönduós.



Das Beste ist der 40 Grad heiße Hot Pot direkt neben dem Haus. Die Finnen haben die Sauna, die Isländer den Hot Pot, eine geniale Erfindung.



Hier trifft man sich für den neuesten Tratsch, holt sich wertvolle Tipps oder macht gute Geschäfte. Während wir von oben voll regnen, lassen wir uns von unten richtig einheizen. Hliv und Geir, zwei Isländer aus Reykjavik gesellen sich zu uns. Sie packen uns einen ganzen Rucksack mit Tipps für die Westfjorde zusammen. Hliv kommt gebürtig von dort. „Hornstrandir“, sagt sie, „die nördlichste Halbinsel der Westfjorde ist die einsamste Ecke Islands“. Ein raues Naturreservat mit echter Wikingerromantik. Sogar heute noch kommt man nur mit dem Boot im Sommer hin. Im Winter lebt dort keiner. „Unsere Hütte“, erzählt sie weiter, „wurde mit Holz aus Kanada gebaut. Die Natur hat es importiert. Ganze Baumstämme gingen in den kanadischen Holzhäfen verloren und wurden nach zwei bis drei Jahren an unsere Küste gespült“. Ein Segen für die wenigen Bewohner, denn außer Moosflechten wächst in diesem nördlichen Zipfel rein gar nichts.




Heute streiten sich Elfen und Trolle, wer das Wetter bestimmt. Sonne und Wolken im Wechsel, dazwischen ein paar Regenschauer. Wir folgen der zerklüfteten Küste in die Westfjorde bis nach Holmavik. Schier endlos schlängelt sich die 61 immer wieder in die Fjorde rein und wieder raus. Das Panorama ist unbeschreiblich.



Am Horizont tauchen die schneebedeckten Berge der unbewohnten Westküste von Hornstrandir auf. Bei der nächsten Fjordmündung bricht der Himmel kurz auf und die Sonne lugt einen Augenblick durch. Dann biegen wir zum Hrafnseyrarheiði ab. Einer der Ortsnamen, der trotz aller Übung für uns immer noch unaussprechlich bleibt. Aber eines haben wir uns gemerkt. Wenn ein „heiði“ am Ende eines Namens steht, dann ist es ein Bergpass. Dieser hier reiht sich in die fünf höchsten Passstraßen des Landes ein. Die steilen Serpentinen kreuzen die Fjordzunge auf einer rötlichen Lehmpiste. Dann landen wir in einem Hochnebel, der sich gewaschen hat. Bei 30km/h tasten wir uns langsam vorwärts.



Schemenhaft taucht ein Ungeheuer vor uns auf. Es ist eine der Straßenschottermaschinen, die ihre nagelneuen Steine auf die Piste kippen. Ein beherzter Gasstoß und wir schlingern zügig an diesem Monstrum vorbei. Nach der Passhöhe bricht die Sonne erneut durch die Wolken und lässt das Meer tiefblau aufleuchten. Hinter einer Biegung taucht ohne Vorwarnung ein wahrer Gigant unter den 10.000 Wasserfällen Islands auch. Der Dynjandi, der „Donnernde“ stürzt hier kaskadenförmig über 100 m in die Tiefe.





Bei den Wasserfällen toppt sich Island immer wieder selbst. Wer glaubt, es geht nicht besser, wird an der nächsten Biegung erneut überrascht. Nur ein paar Fjordbiegungen weiter zeigt Island seine skurille Seite. Hier rostet das alte Walfängerschiff Garðar seit Jahrzehnten in diesem rauen Klima vor sich hin. Einst vom Sturm angespült, haben es die Fischer hier einfach liegen lassen.




Heute ist es ein begehrtes Fotomotiv, genauso wie der Schrott-Potpourri des Egill Olafsson, den wir nur drei Kilometer weiter erreichen. Auf seinem Grund stehen die Überreste einer alten DC3 der US Navy und im kleinen Hangar treffen wir auf eine bizzare Form russisch-amerikanischer Konsultationen. Eine einmotorige Antonow AN-02 steht hier neben einem verwitterten Willys Jeep.





Das Wetter verschlechtert sich zunehmend. Der Wind nimmt zu und peitscht uns den Regen gegen das Visier. Aber das ziehen wir jetzt durch. Umkehren kommt nicht in Frage. Unser Ziel ist der westlichste Punkt Islands. In Latrabjarg endet die Piste an einer 450m hohen Steilwand. Unter uns ist nur noch das Nordmeer. Und wir sehen rein gar nichts. Der Nebel verhüllt alles, selbst die von Helga lang ersehnten Papageientaucher, die sich hier in Massen tummeln. Die letzte Bergpiste für heute endet im Hotel Flókelundur, einen Weiler mit Tankstelle und einem heute heiß ersehnten Natur Hot-Pot. Durchgefroren tauchen wir in das heiße Wasser des Naturbeckens.

Ein paar tiefe Seufzer folgen. Dann stoßen wir mit isländischem Leichtbier aus dem Supermarkt auf diesen Tag an.

Gebannt starren wir am nächsten Morgen auf den Monitor im Aufenthaltsraum unseres Gästehauses. Eine Livecam sendet die neuesten Bilder des derzeit einzigen aktiven Vulkans südlich von Reykjavik. Vor einem halben Jahr öffnete sich am Südhang des Bergmassives Fagradalsfjall nach heftigen Erdbeben die Erde. Die Behörden sprechen von einem „wunderbaren Touristenausbruch“ weil die Lava ohne Aschewolken und mitten in einem geschlossenen Tal ausbrach. Nach einer längeren Pause spukt er wieder Feuer. Auf dem Monitor sehen wir glühende Lava die Vulkanflanken herunterfließen. Ohne zu zögern, kippen wir unsere heutige Reiseroute und entscheiden uns für einen Ausfallschritt gen Süden. Doch ein Sprint über die Ringstraße schließen wir aus. Lieber über das einsame Hochland anreisen. In Husafell biegen wir in „Piste zum kalten Tal“ ein. Die „Kaldidalur“ ist mit 727m eine der höchsten Hochlandpisten auf Island. Wir schottern durch eine steinige Urwüste mit schwarzen Bergen am Horizont. Eine unverfälschte Parallelwelt zu den makellos urbanisierten Landschaften unserer Breitengrade. Auf halber Strecke zeigt ein verwittertes Schild nach links zum Thórisjökull, ein Ausläufer des Riesengletscher Langjökull. Wir passieren eine Sammelstation für Gletscherausflüge mit Monstertrucks. Weit und breit kein Mensch. Nach weiteren acht Kilometern hört die plattgewalzte schwarze Geröllpiste direkt vor dem Gletscher auf. Massiv und scheinbar unverwundbar dominiert er die Landschaft. Doch er schrumpft unaufhörlich. Was zurückbleibt sind schwarze Geröllfelder. Der Wind weht eiskalt und Nebel kriecht den Hang hinauf. Ein unwirtlicher Ort, der Jahr für Jahr dramatisch an Eismasse verliert. Die Wegmarke mit der Jahreszahl 2020 ist bereits 50m vom derzeitigen Gletscherbett entfernt und die Jahreszahl 1960 bereits ganze vier Kilometer. Islands Gletscher haben in den letzten 20 Jahren mehr als die Fläche des Bodensees verloren.








Vor acht Jahren wurde hier in der Nähe sogar der erste Gletscher Islands für tot erklärt.

In Thingvellir, dem heiligen Ort der Isländer hat die Zivilisation uns wieder. Über Jahrhunderte haben hier Islands Mächtige die Geschichte des Landes geschrieben. Hier wurde Island gegründet, das Christentum angenommen, gerichtet und verkündet. Geologisch setzt dieser Ort noch einen drauf. Hier driften die eurasischen und nordamerikanischen tektonischen Platten sichtbar auseinander. Der ganze Grund ist mit Felsspalten und Rissen durchzogen.




In der Dämmerung erreichen wir hinter Grindavik ein eilig planiertes Lavafeld am Straßenrand. Hier stapeln sich die Autos förmlich. Ein Schild weist darauf hin, dass es ab hier nur zu Fuß und auf eigene Gefahr weitergeht. Vor uns ein mächtiger Hügel, über den sich eine Menschenkette windet. Wir reihen uns ein. Ganze zwei Stunden geht es immer wieder rauf und runter.




Der Talgrund neben uns ist mit einem schwarz dampfenden Lavastrom gefüllt. Tiefes Grollen dringt zu uns herüber. Das Naturschauspiel ist in vollem Gange. Wir erreichen einen Grat, der gegenüber des Vulkankraters liegt. Von hier aus schauen wir direkt in die höllenheiße Naturgewalt. Begleitet von einem tiefen Fauchen ergießt sich die beißend gelbe Lava über den Kraterrand. Kleine Rinnsale entstehen, die sich rasch zu einem breiten Feuerfluss verbinden. Dann verlieren sich unsere Blicke in den glühenden Adern der Lava. Wäre unsere Reise ein Film, er würde mit diesem Finale enden.









Doch es gibt keinen Abspann, kein Ende. Morgen steigen wir wieder auf unser Motorrad. Und dann lassen wir uns von Island erneut überraschen.

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